Supercup und Carrera Cup: Für die Teams, die beide Meisterschaften bestreiten, spielt sich das Leben auf den Rennplätzen der beiden Championate, auf Teststrecken, auf der Autobahn und hier und da auch mal in der heimischen Werkstatt ab. Es ist die motorsportliche Version des Lebens im genau geplanten Stundentakt. Kommt aber nur eine Kleinigkeit dazwischen, ist hohe Improvisationskunst gefragt – bei einem Unfall zum Beispiel.
Noch 48 Stunden bis zum Norisring – der Schreck am Dienstag
Es ist Dienstag der 29. Juni 2010: Schnabl Engineering testet gerade in Oschersleben, als um 14.30 Uhr die Zeitrechnung der Mannschaft auf Vollgas umschaltet. „Eingangs der vorletzten Kurve bin ich mit dem sehr aggressiv abgestimmten Auto und den neuen Reifen mit der linken Fahrzeugseite in den Dreck geraten und dann gab’s kein Halten mehr“, beschreibt Pilot Stefan Wendt die Situation, die dem Team die motorsportliche Version der Vollbeschäftigung für die nächsten Tage sichern sollte. Bei 160 km/h verliert er die Kontrolle über den Cup-Porsche, schlägt auf der Kurveninnenseite in eine Betonmauer ein. „Ich habe ein Rad hoch durch die Luft fliegen sehen und dachte, das sei ein Altreifen aus der Streckenbegrenzung“, beschreibt Patrick Bernhardt, der sich als Coach um Stefan Wendt kümmert, die Schrecksekunde. „Minuten später habe ich dann realisiert, dass dies die komplette rechte Vorderradaufhängung unseres Elfers war.“ Die Datenaufzeichnung weist eine Einschlaggeschwindigkeit von 120 km/h auf. Die Beutachtung des 911 GT3 Cup ergibt nur noch eins – Totalschaden! Bis zum geplanten Eintreffen im Fahrerlager am Norisring sind es noch 48 Stunden. Es beginnt die Operation „Vollgasschrauben“.
Denksport vor dem Schrauben – alles muss rein
„Ich habe selten ein solches Organisationstalent wie Sven gesehen“, denkt Schnabl-Trucki Jens Quack an die Planung seines Chefs und die schlaflose Nacht die nun folgen sollte. Noch an der Rennstrecke beginnt das Planspiel „Wiederaufbau“. Teile werden bestellt, eine neue Rohkarosse wird geordert, die Arbeit wird koordiniert. „Das ist der schwierigste Part an dem Neuaufbau eines Rennautos“, erklärt Sven Schnabl. „Wenn wir mit dem Totalschaden in der Werkstatt ankommen, muss alles bereit liegen, um die Montage in einem Tag zu schaffen.“ Mit zwei Laptops sitzt die Mannschaft im Fahrerlager Oschersleben, stöbert in einem wahren Kaufrausch durch die Ersatzteillisten von Porsche Motorsport. „Selten habe ich eine solch komplette Ersatzteilanforderung bekommen“, zeigt sich Porsche-Logistiker Karlheinz Kienle überrascht. „Die haben selbst noch an die kleinen Plastikclips zur Befestigung der Bremsleitungen gedacht“, macht er deutlich, dass der Aufbau eines Rennautos nicht mir dem Abholen einer neuen Rohkarosse getan ist.
Bis die Finger glühen – Aufbau in einem Tag
Mittwochmorgen wird der 911 GT3 Cup dem Gutachter vorgeführt, denn Rennautos sind meist versichert. „Erst dann konnten wir den Porsche zerlegen“, so Schnabl. Zu dem Zeitpunkt ist ein Mitarbeiter bereits auf dem Rückweg aus Weissach. Bei Porsche-Motorsport hat er die neue Rohkarosse auf den Anhänger geladen, trifft drei Stunden später beim Team in Butzbach ein. Um 10.30 Uhr beginnt die Demontage des Cup-Porsche. „Zum Glück haben wir Erfahrung im Aufbau von Rohkarossen“, sagt Mechaniker Konstantin Eckhardt, den sie alle nur Möppi nennen. „In diesem Jahr machen wir das bereits zum zweiten Mal; letztes Jahr waren es sogar vier.“ Die Truppe hat Routine im Zerlegen und Zusammensetzen. „Als ich das erste Mal ein Armaturenbrett ausgebaut habe, hat das einen halben Tag gedauert. Heute liegen die Teile in einer Stunden neben dem Auto.“
Um den Aufbau zu schaffen, wieseln Techniker und externe Mitarbeiter gleichzeitig um die beiden Karossen herum. „Wir veranschlagen ca. 140 Arbeitsstunden, um einen Cup-Porsche wieder komplett aufzubauen“, erklärt Sven Schnabl, macht aber deutlich, dass „dies der absolute Höchstwert ist“. Die ganze Nacht brennt das Licht in der hessischen Werkstatt. Langsam nimmt der Porsche wieder Formen an. Donnerstagmorgen um 2.30 Uhr steht das Auto wieder auf den Rädern. „Gegen drei Uhr morgens habe ich dann den Team-Lkw geladen, um mit den beiden anderen Autos und dem Equipment rechtzeitig zum Norisring zu kommen“, so Jens Quack zum Standardprogramm das quasi nebenher laufen muss. Bis zu zehn Personen waren am Aufbau beteiligt, sechs Techniker haben die komplette Entstehungsgeschichte des Porsche begleitet. Am Donnerstag um 16.00 Uhr rollte der neue 911 GT3 Cup auf dem Anhänger Richtung Norisring. Als die letzten Mechaniker im Fahrerlager am Frankenstadion eintreffen steht bereits das Teamzelt, die Kaffeemaschine blubbert – es ist halt business as usual.
Knapp 48 Stunden später bedankt sich Fahrer Stefan Wendt auf seine Art. Im Qualifying stellt der Rookie den Porsche unter die TOP-10. Das werte Arbeitsgerät verrichtet seinen Dienst problemlos. Es hat sich also gelohnt – das Projekt Vollgasschrauben bei Schnabl Engineering. – bbe